Was wir essen und wie wir essen, verändert sich über die Jahre. Die Entwicklung wird angetrieben durch Technologie, Achtsamkeit im Hinblick auf Gesundheit, Klima und Umwelt sowie den Wunsch nach neuen Genusswelten. Die Food-Trends 2026 geben die Richtung vor.
Das Europaparlament hat am 8. Oktober 2025 mehrheitlich beschlossen, dass Begriffe wie „Burger“, „Schnitzel“ oder „Wurst“ oder „Steak“ in Zukunft ausschließlich für Produkte tierischen Ursprungs verwendet werden sollen. Der Beschluss steckt – zumindest vorerst – noch in einem elementaren Stadium: Er muss von den EU-Mitgliedstaaten im Rat und mit der Kommission ausgehandelt und formal beschlossen werden bevor er rechtskräftig wird. Doch bereits jetzt zeichnet sich ab, dass eine solche Regulierung für die Gastronomie erhebliche praktische und organisatorische Auswirkungen hätte.
1. Verkomplizierung der Bestell- und Kommunikationsprozesse in der Gastronomie
Für Gastronomen stellt sich die zentrale Frage: Wie benennt man künftig eine vegane oder vegetarische Alternative auf der Speisekarte? Wenn beispielsweise der Begriff „Schnitzel“ nicht mehr erlaubt sein sollte, müsste man stattdessen etwa „Veggie-Schnitte“ oder „Gemüseschnitte“ verwenden – doch solche neuen Bezeichnungen sind zwangsläufig weniger selbsterklärend:
- Unklare Produktidentifikation: Ein Gastronom könnte auf der Speisekarte zwar „Veggie-Schnitte“ anstelle von „Veggie-Schnitzel“ schreiben, aber ohne genauere Definition ist nicht erkennbar, was der Gast in puncto Geschmack, Textur oder Optik zu erwarten hat
- Fehlende Konsistenz: Wenn Lieferanten oder Gastrobetriebe unterschiedliche Ersatzbegriffe nutzen, lassen sich diese kaum harmonisch in ein standardisiertes Bestellsystem integrieren
- Schulung & Umschulung von Personal: Servicekräfte, Küchenpersonal oder Einkaufsverantwortliche müssten neu geschult werden, um neuartige Begriffe zu verstehen und einzusetzen: Das kostet Zeit, verursacht Fehler und provoziert Missverständnisse
- Probleme mit Schnittstellen: In einem stark automatisierten Betrieb mit digitalen Bestellschnittstellen (z. B. elektronischer Warenwirtschaft, Küchenmonitoring, Apps) könnte jede Änderung der Artikelbezeichnungen Systemanpassungen erfordern – und das „nur“, weil der geläufige Begriff nicht mehr erlaubt ist
Damit droht eine erhöhte Fehlerquote, längere Kommunikation und verringertes Tempo in Abläufen – insbesondere in Großbetrieben mit mehreren Filialen oder mit standardisierten Bestellprozessen.
2. Risiken für das Marketing und die Kundenkommunikation
Gastronomische Betriebe, die bereits heute auf pflanzenbasierte Alternativen setzen, nutzen oft prägnante Begriffe wie „Veggie-Schnitzel“ in Verkaufsunterlagen oder digitalen Kanälen zur Bewerbung ihres Angebotes. Ein Verbot solcher Begriffe würde:
- die Verständlichkeit für Gäste erschweren – viele Menschen wissen aus Erfahrung, was gemeint ist, wenn sie „Veggie-Schnitzel“ lesen
- den Wiedererkennungswert verringern – Kunden könnten sich weniger leicht orientieren oder die Alternativen spontan erkennen
- Anpassungen in allen Kommunikationskanälen nötig machen – Speisekarten, Website, Flyer, Social Media, digitale Menüs, Kassensysteme etc. müssten überarbeitet oder sogar neu gedruckt werden.
Gerade bei Neuankündigungen oder saisonalen Angeboten kann der Aufwand massiv sein und es besteht das Risiko, dass Gäste durch ungewöhnliche Bezeichnungen verunsichert werden .
3. Auswirkungen für Hersteller und Großhändler
Der gastronomische Betrieb ist nur ein Teil der Wertschöpfungskette und viele der organisatorischen Belastungen würden sich entlang dieser Kette vervielfältigen.
Hersteller: Massive Umstellungen bei Verpackung und Kommunikation
Ein Hersteller pflanzlicher Fleischalternativen, der derzeit Produkte mit Namen wie „Veggie-Schnitzel“, „Soja-Steak“ oder „Pflanzen-Schnitzel“ vertreibt, müsste:
- Verpackungen neu entwerfen und drucken: Jede Verpackung, jeder Karton, jedes Etikett mit dem bislang verwendeten Begriff müsste geändert und altes Material vernichtet werden
- Produktbeschreibungen & Salesunterlagen überarbeiten: Broschüren, Kataloge, Datenblätter, Webauftritte, Produktwebsites, Werbung, Displays – überall müssten Begriffe und Texte angepasst werden
- Markenrechtliche Aspekte prüfen: In vielen Fällen sind Produktnamen als Marke oder Kennzeichen geschützt. Bei Umbenennungen sind Markenregistrierungen neu anzumelden oder anzupassen – das könnte zu Konflikten mit bestehenden Nennungen führen
- Neupositionierung der Produkte: Da eine neue Bezeichnung eventuell weniger attraktiv oder selbsterklärend ist, muss der Hersteller eventuell stärker in Marketing investieren, um bekannt zu machen, dass sein Produkt eine pflanzliche Alternative zu einem tierischen Pendant ist
- Rohstoff-, Produktions- und Logistikprozesse dokumentieren: In der Kommunikation mit Kunden, Zertifizierern, Aufsichtsbehörden oder in Qualitätsmanagementunterlagen müssten die neuen Begriffe konsistent überarbeitet werden.
Das alles verursacht nicht nur Kosten für Design, Druck und Redaktion, sondern auch für Projektmanagement, Abstimmungen und interne Prozesse. Für mittelständische Hersteller mit begrenzten Ressourcen ein erheblicher Aufwand, der zudem mit sinkender Nachfrage einhergehen könnte.
Großhändler: Anpassung in Artikelsystemen und Logistik
Großhändler, die Veggie-Produkte im Sortiment haben, stehen ebenfalls vor komplexen Herausforderungen:
- Artikelstammdaten-Änderungen: Jedes Produkt, das aktuell unter „Veggie-Schnitzel“ geführt wird, müsste einen neuen Artikelcode oder zumindest eine neue Bezeichnung erhalten (je nach System). In ERP-Systemen, Lagermanagement, Picklisten, Schnittstellen zu Kunden müssen alle Artikelstammdaten geändert werden
- Schnittstellen zu Kunden & Lieferanten: Viele Großhändler tauschen automatisch Artikel- und Bestelldaten mit ihren (Gastro-)Kunden. Wenn Bezeichnungen sich ändern, müssen alle Schnittstellen abgeglichen und ggf. angepasst werden damit keine Fehlbestellungen oder Zuordnungsfehler auftreten
- Lagerkennzeichnung & Logistik: In Lagern, auf Paletten, Regaletiketten oder Warenauszeichnungen müssten neue Bezeichnungen verwendet werden
- Schulung und Dokumentation: Personal müsste geschult werden, um zu verstehen, welcher alte Begriff welcher neuen Bezeichnung bzw. welchem Produkt entspricht, um Rückfragen und Reklamationen zu vermeiden
- Risiko von Diskontinuitäten: Während der Umstellungsphase kann es zu Missverständnissen kommen, wenn Kunde A „Veggie-Schnitzel“ ordert, aber das System des Händlers bereits „Pflanzliche Schnitte“ verlangt. Solche Diskontinuitäten können Lieferverzögerungen oder Fehlbestände erzeugen
Kumulativer Aufwand und Vernetzungsproblematik
Weil Hersteller, Großhändler und Gastronomiebetriebe vernetzt sind, multiplizieren sich die Anforderungen. Ein Hersteller, der seine Bezeichnungen ändert, überträgt die Anpassungslast direkt an seine Abnehmer (Großhändler, Gastronomen) und dieser wiederum an die Gastrobetriebe. Jeder Beteiligte muss sicherstellen, dass seine Version der Namensänderung kompatibel ist – andernfalls drohen Brüche in der Kommunikation. Außerdem wären Übergangsregelungen erforderlich, die festlegen, wie lange man noch alte Bezeichnungen verwenden darf und wie mit Restbeständen umgegangen wird. Ein unkoordiniertes Vorgehen birgt hohes Fehlerpotenzial.
Bewertung für die Gastrobranche
Der Parlamentsbeschluss ist bisher nur ein politischer Schritt und aktuell noch nicht bindend. Er muss durch weitere institutionelle Hürden (Rat der Mitgliedstaaten, Kommission) gelangen bevor er rechtskräftig wird. Allerdings birgt ein möglicher Beschluss das Risiko weitreichender Konsequenzen für die Gastro-Szene. Ein solches Namensverbot wirkt nicht nur wie eine Sprachregelung von oben, sondern schafft Bürokratie, wo bisher etablierte gewerbliche Praxis reibungslos funktionierte. Dabei steht die Begründung des Verbots (Verbraucherschutz, Klarheit) im Konflikt mit den Argumenten der Branche (Transparenz, Verständlichkeit, Innovationsförderung). Wenn pflanzenbasierte Produkte in ihrer Kommunikation zukünftig erschwert werden, sinkt womöglich auch ihre Akzeptanz und Sichtbarkeit. Das könnte das Wachstum der letzten Jahre und die Innovation in diesem Segment bremsen.
Die Entscheidung des Europäischen Parlaments, Fleischbegriffe wie „Schnitzel“, „Burger“ oder „Wurst“ künftig ausschließlich tierischen Produkten vorzubehalten, könnte somit insbesondere in der Gastronomie einen massiven organisatorischen Aufwand auslösen. Von der Bestell- und Kommunikationsstruktur bis hin zur Kundenwahrnehmung reichen die betroffenen Ebenen. Hersteller und Großhändler, die das Rückgrat der Lieferkette bilden, stehen vor ähnlich herausfordernden Anpassungen. Ob und in welcher Form das Vorhaben letztlich rechtskräftig wird, bleibt allerdings abzuwarten.