Kartoffelschalen, Brokkolistrünke, Karottengrün: Das Konzept „Leaf to Root“ setzt sich dafür ein, auch diese Bestandteile wertzuschätzen. Doch was bedeutet der Trend eigentlich und wie lässt er sich umsetzen?
Das ganze Tier nutzen – leckere, außergewöhnliche und umweltfreundliche Speisen
Es ist noch gar nicht so lange her, da galt Fleisch als teure Delikatesse. Kein Wunder also, dass die Menschen darauf achteten, möglichst alles vom Tier zu verwerten – auch die weniger edlen Teile. Inzwischen ist Fleisch Massenware und für jeden erschwinglich sowie flächendeckend verfügbar. Bei fast 80 % des verzehrten Fleisches handelt es sich allerdings ausschließlich um Filet, Brust, Steak, Kotelett, Rücken, Lende, Keule und andere Stücke. In der Fleischerfachsprache sind dies die Prime Cuts. Der Rest landet oft in Ermangelung anderer Verwertungsalternativen im Müll oder wird im besten Fall noch zu Hundefutter verarbeitet. Wenn es ganz schlecht läuft, erfolgt wie beim Rinderblut eine Verwertung in der Biogasanlage. Daran gibt es zu Recht viel Kritik, aber auch hier gilt die alte Marktregel: Die Nachfrage bestimmt das Angebot. Die (deutschen) Verbraucher haben die alten Gerichte der Großeltern aus der „schlechten Zeit“ im Zuge des Wirtschaftswunders einfach vergessen.
In der Spitzengastronomie ist momentan jedoch eine Rückbesinnung auf alte Traditionen zu beobachten. Der Grund: Ein neu gewachsener Respekt gegenüber dem Tier als Lebewesen. Immer mehr Köche legen Wert darauf, neben den populären Edelstücken auch die weniger beliebten – aber bei guter Zubereitung nicht minder schmackhaften – Fleischteile zu verarbeiten. Hier liegt das Augenmerk ebenfalls auf den sogenannten Second Cuts wie zum Beispiel Flank Steak, Onglet („Nierenzapfen“) oder Bürgermeisterstück. Selbst ein gegrillter Markknochen landet auf den Tellern, denn auch er kann ein echter Gaumenschmaus sein.
Bereits im Jahr 1999 veröffentlichte der britische Koch Fergus Henderson das Kochbuch „Nose to Tail“ (deutsch etwa: „Vom Kopf bis zum Schwanz“ oder „Von der Schnauze bis zum Schwanz“), bei dem die Zubereitung verschiedenster Teile vom Schwein beschrieben wurde. Das Werk war namensgebend für das Konzept „Nose to Tail“ – ein Trend, der darauf abzielt, möglichst alle essbaren Fleischstücke eines Tieres zu nutzen. Das passt bestens in die heutige Zeit, in der Nachhaltigkeit sowohl privat als auch für die Gastronomie eine große Rolle spielt. Vegane und vegetarische Fleischersatzprodukte sind mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft angekommen, pflanzliche Milchalternativen und veganer Käse ebenso. Auch für pflanzliche Lebensmittel existiert übrigens ein ähnliches Konzept wie Nose to Tail, „Leaf to Root“ genannt.
Nose to Tail in der Gastro: Diese Fleischstücke kannst du verarbeiten
Zugegeben: Rezepte nach dem Nose-to-Tail-Ansatz erfordern ein wenig Offenheit – sowohl vom Koch als auch vom Gast. Die Kunst der ganzheitlichen Zubereitung von Fleisch gehört heute nicht mehr zum Standardrepertoire der Kochausbildung. Um auch aus den weniger edlen Fleischteilen ein spannendes Gericht zu zaubern, braucht es Erfahrung, Wissen und Fingerspitzengefühl. Doch es lohnt sich! Auch deine Gäste sollten bereit sein, sich auf etwas Neues einzulassen. Zudem ist Flexibilität gefragt – denn was auf der Speisekarte steht, ist meist das, was vom geschlachteten Tier noch übrig ist.
Es gibt durchaus Gerichte und Speisen, die auch heute noch bekannt sind und dem Gedanken von Nose to Tail entsprechen – beispielsweise Rippchen, Blutwurst, gekochte Rinderzunge, Leber Berliner Art (mit Apfelscheiben und Zwiebeln), Leberknödel oder Flecke süß-sauer. Für Nose to Tail geeignet sind im Prinzip alle Tierarten – Rind, Schwein, Huhn, Wild und vieles mehr. Folgende Fleischteile und Gerichte lassen sich im Sinne der Ganztiernutzung zubereiten:
- Innereien wie Hirn, Magen, Herz, Niere, Lunge
- Pansen
- Kutteln
- Flecke
- Beinfleisch und Füße
- Zunge, Backen und Ohren
- Rippen
- Schwanz
- Euter
- Bries (Organ des Kalbs).
Gerichte à la Nose to Tail: traditionell und modern zugleich
Dass Nose to Tail in der Gastronomie funktioniert, zeigen zahlreiche erfolgreiche Restaurants aus dem deutschen Raum, etwa das „Herz und Niere“, das „Restauration 1900“ (beide in Berlin) oder das Bio-Hotel „Zur Rose“ auf der Schwäbischen Alb. Hier servieren innovative Köche Nose-to-Tail-Gerichte, bei denen auch Fleischstücke abseits der gängigen Edelteile zum Einsatz kommen, und leisten so einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Lebensmittelverschwendung und der Müllvermeidung (Stichwort: Zero Waste).
Um deine Gäste langsam an das neue Fleisch heranzuführen und es ihnen schmackhaft zu machen, empfiehlt es sich, den Gerichten einen modernen Touch zu verpassen und Nose-to-Tail-Komponenten mit beliebten Lebensmitteln zu kombinieren. Der Koch Simon Tress vom bereits erwähnten „Zur Rose“ zaubert beispielsweise mithilfe eines Sous-vide-Gargerätes ein hauchdünnes Carpaccio von der Rinderzunge, bereitet Schweinezunge nach Art Vitello tonnato oder serviert zu Lammkutteln getrocknete Tomaten und Pinienkerne. Weitere Inspirationen und Rezeptideen findest du online sowie in speziellen Nose-to-Tail-Kochbüchern.
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